Vom Hexenwahn zum Nationalsozialismus
Seit den Ereignissen im Jahre 1944 hat Willi Sievers (Jahrgang 1926) immer wieder seine Erlebnisse von damals erzählt. Die Bilder seines Haftaufentahltes im Godehardigefängnis ließen ihn nicht wieder los. Doch in Alfeld wollte das niemand mehr hören. 2010 begann im Mehrgenerationenhaus eine Erzählwerkstatt zu Kindheit und Jugend in der NS-Zeit. Dort wurde sein Bericht aufgenommen und über Radio Tonkuhle einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Die Alltagserlebnisse und
Erinnerungen vorwiegend junger Männer ermöglichten die Sendereihe „Erinnerste dich?“auf den zugangsoffenen Sendeplätzen des nichtkommerziellen
Bürgerrundfunksenders in Hildesheim.
Die Idee, aus der Geschichte ein Hörspiel zu machen, lag auf der Hand, als der Nachwuchsregissuer Silas Degen bei Radio Tonkuhle mit seinem preisgekrönten Hörspiel „Justus Oldekop und der Hexenwahn“ – nominiert für Internationalen Hörspielpreis des Leipziger Hörspielsommers – zu überzeugen wusste. Die Seminarfachproduktion der Michelsenschule Hildesheim in Kooperation mit Radio Tonkuhle 105,3 greift die wahre Geschichte des Juristen Justus Oldekop auf, der sich im 16 Jahrhundert gegen die Hexenprozesse und brennenden Scheiterhaufen einsetzte. Trotz seiner heldenhaften Taten, für die der gebürtige Hildesheimer sein Leben aufs Spiel setzte, ist Oldekop längst in Vergessenheit geraten ist und erhielt 2017 mit dem Historienhörspiel ein Denkmal gesetzt.
Am Anfang war die Idee
Degen war begeistert von der Geschichte der Schlangenbande und begann abermals mit den Textbucharbeiten an einer vergessenen Hildesheimer Geschichte. Unterstützt wurde der Künstlerische Leiter von Schauspieler & Dramturg Sebastian Barnstorf und dem „Produzenten der ersten Stunde“ Jens Volling, die an der Ausarbeitung des Plots beteiligt waren. Unter der Projektleitung von Lokalredakteurin Sabine Kuse wurde die Vorlage in den Sommermonaten 2019 zu einem Historienhörspiel umgesetzt.
Die Vorkommnisse im Zweiten Weltkrieg können nur noch wenige erzählen. Sie alle sind in ihrem 9. Lebensjahrzehnt angekommen. Sievers ist der letzte noch Überlebende der 13 Inhaftierten in Alfeld. In nunmehr 9 Jahren ist ein reiches akustisches Gedächtnis einer Stadt aufgezeichnet worden, das einer systematischen Auswertung offen steht. „Die Schlangenbande“ soll hier nur der Anfang sein und vor Augen führen, dass Nationalsozialismus nicht nur im Konzentrationslager Auschwitz und der Hauptstadt Berlin stattgefunden hat. Auch in der regionalen Vergangenheit liegen viele noch unaufgedeckte Verbrechen verborgen.
Das Hörspiel ist in Zeiten, in denen neonazistische Gruppen und die Alternative für Deutschland (AfD) immer dreister einem Geschichtsrevisionismus das Wort reden, ein Beitrag für einen authentischen Umgang mit der Geschichte. Vor allem das Zurückholen der großen Geschichte in die „kleinen Zusammenhänge“ lokalen Geschehens kann jüngeren Generationen verständlicher machen, was und wie es war. Die bekannten Synchronstimmen von Kinostars bauen im Hörspiel „Die Schlangenbande“dabei die Generationsbrücke zu einem jungen Publikum.